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Zugegeben, den Präsentationen von neuen Vans nähere ich mich mittlerweile mit säuerlichem Gesicht. Nicht weil ich etwas gegen Pampersbomber hätte. Im Gegenteil, die Kinder darin zahlen schließlich mal meine Rente. Ich mag nur keine Marketing-Heinis, die mir weismachen wollen, das wäre ein Wagen für coole Supersportler. Auf dem Flug zur Vorstellung des neuen BMW 2er Gran Tourer entdecke ich denn auch einen Surfer mit Hang-Loose-Geste im Autoprospekt. Aber dann überrascht mich Projektleiter Peter Krist positiv: "Auch Väter sind Männer", sagt er. Ein richtig schöner Satz. Ich kann mir vorstellen, dass man auch als Vater gern ein halbwegs sportliches Auto fahren möchte. Wenn es nach Krist geht, dann wäre das der am 16. Juni 2015 startende 2er Gran Tourer, das "dynamischste Fahrzeug im Segment". Ob das stimmt, habe ich an den Versionen 220i und 220d xDrive erkundet.
Neue Plattform, VW und Ford als Hauptkonkurrenz
Doch erstmal zu den Basics. Der 2er Gran Tourer basiert wie der 2er Active Tourer auf der neuen Fronttriebler-Plattform UKL (Untere Klasse), auf der auch der Mini als Drei- und Fünftürer, der noch 2014 erscheinende neue X1 und danach der kommende 1er basieren. Im Vergleich zum Active Tourer ist der Gran Tourer 21 Zentimeter länger und fünf Zentimeter höher. So ist innen Platz für sieben Sitze, wobei fünf davon serienmäßig sind. Daraus ergibt sich die Alleinstellung des 2er Gran Tourer: Er ist der einzige siebensitzige Premium-Van auf dem Markt. Als Hauptkonkurrenten nennt BMW den VW Touran und den Ford Grand C-Max, doch die sind eben nicht Premium.
Unruhiges Armaturenbrett
Nun aber geht's erstmal ins Auto. Das Cockpit wirkt edel und gut verarbeitet, doch das Armaturenbrett ist etwas zerklüftet und unruhig: BMW mixt viele Materialien, und überall gibt es Vorsprünge, Kanten, Nischen und Fächer – persönlich mag ich es innen lieber einfach, wie etwa im Touran. Und Schockschwerenot, was entdecke ich da in der Mittelkonsole? Einen Automatik-Wahlhebel. Warum gibt mir BMW ein Automatikauto, wenn sie mir das dynamische Potenzial nahebringen wollen? Für mich ist das ein Gegensatz, ich finde Automatik-Wagen immer ein wenig bräsiger, auch wenn wie hier Schaltwippen installiert sind. Der Wahlhebel sieht ein wenig altmodisch aus. Statt dem schicken, stelenartigen Hebel, der sich in den meisten neueren BMWs findet, ist es hier ein traditioneller Knüppel. Denn im Testwagen arbeitet eine mechanische Achtgang-Automatik von Aisin, das mit dem elektronisch bedienten ZF-Getriebe zum Beispiel im 7er nichts zu tun hat.
220i mit strammen 192 PS
Ich gebe Gas, und bald fällt mir der schöne, raue Klang des Motors auf. Dazu muss ich allerdings bis in den oberen Drehzahlbereich vorstoßen. Man hat mir einen 220i gegeben, das ist der Top-Benziner, ein 2,0-Liter-Turbo mit strammen 192 PS. In Kombination mit der Achtgang-Automatik merkt man dem Aggregat seine Leistung nicht immer an, doch das mag mit meiner Automatik-Abneigung zu tun haben. In der ersten scharf gefahrenen Kurve verliebe ich mich dafür in den Fahrersitz: Er passt wie angegossen, ist weder zu breit noch zu schmal, hält mich fest an meinem Platz. Nur benimmt sich der Wagen in der Kurve wie ein typischer Fronttriebler: Das Heck schwingt eben nicht so kooperativ herum wie bei Hinterradantrieb.
Besser geradlinig
Ich fahre ja auch einen Van, und da ist eine gemächlichere oder zumindest geradlinigere Gangart Usus. So ein Wagen ist gemacht für die Fahrt auf der modernen Brenner-Autobahn, nicht für altmodische Alpenpässe mit Serpentinen, schärfe ich mir ein. Bei Geradeausfahrt fühlt sich der Gran Tourer gut an, er bietet genügend Komfort auch für lange Fahrten. Allerdings: Wenn ich bei Tempo 80 eine schnelle Ausweichbewegung simuliere, dann wirkt das Ganze wenig exakt. Säße meine Frau neben mir und meine Kinder hinten, würde mindestens einer aufstöhnen. Wenn die adaptiven Dämpfer an Bord sind, ändert sich die Fahrwerkscharakteristik mit dem gewählten Modus. Doch die Änderung ist minimal. Auch nach mehrmaligem Hin- und Herschalten zwischen Sport und Comfort kann man ihn höchstens erahnen. Die Lenkung wird serienmäßig vom Fahrerlebnisschalter beeinflusst. Wenn man genau aufpasst, spürt man, dass sie im Sport-Modus eine Idee schwergängiger ist.
Irritierendes Head-up-Display
Was mich beim Fahren ein wenig ärgert, ist das Head-up-Display. Es handelt sich um die Billigvariante, bei der die Daten auf eine kleine Plexiglasscheibe vor dem Fahrer projiziert werden. Für die Kompaktklasse finde ich diese Lösung angemessen, und im Peugeot 5008 hat uns ein ähnliches System gut gefallen. Doch im Gran Tourer irritiert die Kante zwischen Armaturenbrett und Motorhaube, die sich hinter dem Display abzeichnet. Allerdings ist das Head-up-Display sowieso ein Extra für die kleine Minderheit, die 2.490 Euro ausgeben will. Denn das Display ist nur zusammen mit dem Infotainmentsystem Navigation Plus zu haben – beim 5008 kostet es nur ein paar Hunderter Aufpreis.
Erinnerungen an den Zafira OPC
Optisch ist mein Testwagen "a mixed bag", wie man auf Englisch sagt, hier gibt es Licht und Schatten. Außen ist das Ding ein wenig peinlich, denn man hat mir die "M Sport"-Version gegeben. Die protzt mit riesigen Lufteinlässen vorne und zwei dicken Auspuffen hinten auf. Die forsche Optik erinnert mich fatal an Kreationen wie den Opel Zafira OPC. Nichts gegen OPC oder M oder AMG, aber doch nicht bei einem Van, bitteschön. Innen ist der M Sport dagegen gelungen. Schön sind vor allem die Alu-Zierleisten mit ihrer raffinierten Sechseck-Struktur.
Diesel mit Bums
Die Silberleisten gefallen mir um Welten besser als die glänzenden Holzleisten meines nächsten Testwagens. Ich bin auf einen Diesel gewechselt, und wieder ist es die Topmotorisierung. Der 220d hat ein 2,0-Liter-Aggregat mit 190 PS unter der Haube. Also fast die gleiche Leistung. Der Bums ist hier noch etwas stärker, schließlich hat der Wagen 400 statt "nur" 280 Newtonmeter Drehmoment. Aber es fehlt der raue Sound, an dem ich mich beim Benziner festhalten konnte, wenn ich nach Temperament suchte. Vielleicht liegt es wieder an der Automatik, die auch hier verbaut ist. Der Allradantrieb, der an Bord ist, untermauert jedenfalls die Alleinstellung des 2er Gran Tourer: Touran und Grand C-Max können dergleichen nicht bieten. Dieses Argument könnte bei Familien ziehen, die im Winterurlaub schon mal im Schnee stecken geblieben sind.
Vorbereitet auf RDE
Das für mich Interessanteste an dem Diesel entdecke ich, als ich die Tankklappe öffne: Da befindet sich neben dem normalen Loch für den Tankrüssel noch ein zweiter, verschlossener Stutzen. Offensichtlich für das Additiv Adblue, das bei SCR-Katalysatoren für die NOx-Minderung nötig ist. Aber hat BMW nicht in fast allen Autos Speicherkats und verzichtet wo immer möglich auf die aufwendige SCR-Technik? Richtig, sagt Projektleiter Krist: Um die Euro-6-Norm einzuhalten, reicht ein Speicherkat, doch für kommende Anforderungen wurde Vorsorge getroffen. Dabei hat BMW nicht etwa Euro 7 im Auge, sondern RDE (Real Driving Emissions): Die Europäische Komission plant, ab 2017 die NOx-Emissionen im realen Verkehr einzubeziehen. Die Details sind noch nicht bekannt, aber BMW könnte sich dann gezwungen sehen, ein SCR-System mit Adblue-Tank einzubauen.
Der langsamste BMW der Welt?
Neben den beiden Topmotorisierungen werden zwei weitere Ottomotoren und drei andere Diesel angeboten. Dabei sind die später startenden Basisversionen 216i mit 100 PS und 214d mit nur 95 PS schon eingeschlossen. Zu Letzterem sind bislang nur wenig Daten bekannt, doch "der dynamischste Wagen seiner Klasse" dürfte der 214d nicht sein. Wahrscheinlich ist er der langsamste BMW überhaupt, der PS-schwächste ist er auf jeden Fall. Nun ja, einer muss ja den Letzten machen, und bei einem Van steht die Motorisierung eben nicht im Vordergrund.
Platz für fünf Personen plus Gepäck
Vans punkten mit einem variablen Sitzsystem, und hier hat BMW vieles richtig gemacht. Um genauer zu sein: fast alles. Reihe zwei ist verschiebbar, was ein unschätzbarer Vorteil ist. Gut, der Platz in der dritten Reihe ist für Erwachsene beengt. Auch das Einsteigen ist nur Gelenkigen zu empfehlen. Als ich es geschafft habe, bitte ich einen Kollegen, vor mir Platz zu nehmen. Ergebnis: Meine Knie befinden sich dicht vor meinem Brustkorb und die Tür gehen nicht mehr zu, weil mein Vordermann seine Knie hinausstrecken muss. Aber beim Touran, wo ich auch schon mal die letzte Reihe genießen durfte, ist das nicht anders. Meine Empfehlung: Platzieren Sie ganz hinten nur die Kinder. Oder nutzen sie den Platz gleich für Gepäck. Überhaupt, für mich ist die Idealanwendung für dieses Auto nicht die siebenköpfige Kleinhorde, sondern eine normale vierköpfige Familie, die mit Gepäck in den Urlaub fährt. Dann bleiben hinter den Kindern immer noch üppige 645 bis 805 Liter Platz für Gepäck. Klappt man die Sitze um, werden daraus 1.905 Liter. Damit ist der 2er Gran Tourer der BMW mit dem größten Kofferraum. Zum Vergleich: In den Active Tourer passen nur 468 bis 1.510 Liter.
Praktischer Kofferraum
Die Sitze der zweiten Reihe lassen sich dank elektrischer Entriegelungsknöpfe auch vom Heck aus umklappen. Die Sitzbank ist an zwei Stellen geteilt, sodass man auch zwei Kinder plus Skier im Innenraum befördern kann. Die Ladekante ist niedrig, und das Rollo zum Verstecken des Kofferrauminhalts lässt sich im Ladeboden verstauen. Optional kann man sogar den Beifahrersitz umklappen und den Kofferraum per Fußbewegung unter der Stoßstange öffnen. Einziger Nachteil am ganzen Sitz- und Laderaumkonzept: Die Kofferraumklappe geht nicht besonders weit auf, wer über 1,80 Meter groß ist, läuft Gefahr, sich den Kopf zu stoßen.
Kein Totwinkelwarner
Junge Familien, auf die dieser Van zielt, sind angeblich ganz versessen auf Sicherheit. Den EuroNCAP-Crashtest dürfte der Gran Tourer wie der Active Tourer mit fünf Sternen absolvieren. Optional bietet BMW etliche Sicherheitshelfer an wie eine Kollisionswarnung und City-Teilbremsung oder einen Spurverlassenswarner. Doch aus unerfindlichen Gründen wird ein so sinnvolles System wie der Totwinkelwarner nicht angeboten – das wäre eine Aufgabe fürs nächste Facelift.
Natürlich teurer als ein Touran
Insgesamt haben die Münchner ihren Van nicht schlecht hingekriegt. Ja, mit dem 2er Active Tourer tun sie, was sie stets verachtet haben: einen Fronttriebler bauen und einen Familienvan anbieten. Warum macht BMW das? Um Geld zu verdienen, darf man annehmen. Und um neue Kunden zu gewinnen – beim 2er Active Tourer sollen 75 Prozent der Käufer von anderen Marken kommen. Vielleicht ist ja ein Umstieg vom VW Golf nötig, weil nun zwei Kinder da sind? Dann wäre es gut, gleich auch um eine Gehaltserhöhung zu bitten. Denn der 2er Gran Tourer ist doch deutlich teurer als zum Beispiel ein Touran. Mit 150-PS-Diesel kostet der Gran Tourer (218d) 32.350 Euro, einen entsprechenden Touran 2.0 TDI Comfortline bekommt man schon für 30.975 Euro. Das macht knapp 1.400 Euro Premiumaufschlag.
Quelle: http://www.auto-news.de/test/e…Markteinfuehrung_id_36699